Die Herzratenvariabilität kann man erspüren, wenn man den Puls fühlt. Allerdings muss man dafür ausgebildet sein und viel Erfahrung haben. Deshalb wurden messtechnische Verfahren entwickelt, damit quantitative und vergleichbare Analysen durchgeführt werden können. Alle Herzratenvariabilitäts-Werte beruhen auf der Auswertung von sogenannten RR-Intervallen.
Wie werden RR-Intervalle und die Herzschlagrate aus einem abgetasteten EKG-Signal berechnet?
Eigentlich ist das eine Frage, die wenig relevant erscheint – vor allem in Fachkreisen. Erfahrungsgemäß ist die Frage nach der Berechnung der RR-Intervalle nur im technisch wissenschaftlichen Umfeld trivial. Für weniger technisch Vorgebildete ist der Zusammenhang meist unklar.
Mehr Wissen über die messtechnischen Grundlagen kann viel zum weiteren Verständnis der Herzratenvariabilität (HRV) beitragen. Aber das ist ein umfangreiches Fachgebiet. Deshalb soll im Folgenden zunächst mal der Zusammenhang zwischen der Erfassung der EKG-Signale und der Berechnung der Herzrate erläutert werden.
EKG-Geräte funktionieren im Prinzip so: Sie messen die elektrische Spannung zwischen den auf der Haut angebrachten Elektroden. Geräte, die zwischen 256 und 1024 Messwerten pro Sekunde durchführen, sind hier sehr verbreitet. Diese sogenannte Abtastrate erlaubt (nach einer Filterung) eine vergleichbare Darstellung des EKG-Signals, wie sie früher mit Papierstreifen und Tinte erstellt wurde. Für den Therapeuten ist völlig transparent, wie der Herzschlag verläuft. Das digital gemessene EKG-Signal von zwei Herzschlägen (also zwei R-Zacken) sieht als Abfolge von zeitlichen Messdaten wie bei folgendem Beispiel aus:
Die Messwerte sind als schwarze Punkte dargestellt. Die graue Verbindungslinie stellt schon eine Interpretation dar. Sie wurde hinzugefügt, um den Verlauf anschaulicher zu machen.
Es lässt sich schon erahnen, dass bei einer geringeren Abtastrate der Kurvenverlauf gröber erfasst wird. Insbesondere wird die Ermittlung des RR-Intervalls, also die Zeitdauer zwischen zwei Herzschlägen, ungenauer. Aber auf diese Problematik soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden.
Schritte vom EKG-Signal zu RR-Intervallen und zur Herzrate
In den folgenden Diagrammen wird nur ein Zeit-Ausschnitt von 5 Prozent einer 5 Minuten dauernden EKG-Messung dargestellt. Denn, würde man alle EKG-Messwerte einer 5-Minuten dauernden Kurzzeit-HRV-Messung darstellen, wäre nur eine schwarze Punktwolke zu sehen. Die Nummerierung der R-Zacken soll helfen, den Bezug von R-Zacken zu RR-Intervallen und Herzschlagrate (Pulsrate) besser nachvollziehen zu können.
Schon diese Darstellung eines 5-Prozent-Ausschnitts der EKG-Werte von einer Kurzzeit-HRV-Messung ist fast unübersichtlich. Auch ist nicht ohne weiteres erkennbar, dass die Abstände zwischen den R-Zacken leicht unregelmäßig (variabel) sind.
Betrachtet man die Abstände quantitativ und rechnet die RR-Intervalle aus, wird die Variabilität schon deutlicher, wie folgende Tabelle der RR-Intervalle der 21 im vorherigen Diagramm dargestellten R-Zacken zeigt:
In der nächsten Abbildung sind also die RR-Intervalle durchnummeriert, damit eine gedanklichen Verknüpfung der vorher dargestellten R-Zacken mit den berechneten RR-Intervallen erleichtert wird. Die RR-Intervall-Werte entsprechen dem zeitlichen Abstand von zwei R-Zacken und werden dem Zeitpunkt der jeweils zweiten R-Zacke eines Intervalls zugeordnet (deshalb beginnt die Nummerierung der R-Zacken im vorherigen Diagramm mit 0 und im Folgenden die Nummerierung der RR-Intervalle mit 1):
Die Unregelmäßigkeit des Herzschlags ist bereits mit der Darstellung der zeitlichen Reihenfolge der RR-Intervalle deutlich erkennbar.
Von den RR-Intervallen zu den Herzratenwerten ist es nur ein kleiner Schritt: Da die Herzrate immer als Anzahl der Herzschläge pro Minute angegeben wird, wird zu deren Berechnung die Zahl 60 durch den jeweiligen Wert des RR-Intervalls geteilt. Man erhält dadurch genauso viel Quotienten wie RR-Intervalle, deren zeitlicher Verlauf im folgenden Diagramm dargestellt wird:
Es handelt sich um die momentane Herzrate (gedanklich ausgedehnt auf eine Minute). Sie darf nicht mit der üblicherweise angegebenen Herzrate (Pulsrate) verwechselt werden. Bei der Pulsmessung ist die durchschnittliche Herzrate im Zeitraum von einer Minute gemeint.
Ich hoffe, mein Ausflug in die Zusammenhänge der EKG-Messung und Berechnung von RR-Intervallen bewirkt, dass auch HRV-Interessierte mit weniger technischer Vorbildung etwas mehr Einblick in die Grundlagen bekommen.
Die Berechnung des Poincaré-Diagramms und der wichtigsten HRV-Werte, wie RMSSD, SDNN und Stress-Index SI, habe ich mir in ähnlicher Form vorgenommen.
P. S.: Die Beispieldaten wurden mit einem HRV-Scanner (Modell: Professional) des Herstellers BioSign gemessen, exportiert und mit Hilfe der Programmiersprache R von Erich Langenbuch aufbereitet.
Sehr schön erklärt, ich freue mich immer, wenn ich so was im Internet finde. Gute Blogs zum Thema Medizin und ausgerechenet EKGs sind eher selten.
LG
Mariam
Da das mit dem Herzen besonders bei älteren Menschen problematisch sein kann (Vorhofflimmern z.B.), würde mich interessieren, welche Smart-Watch zum Messen von EKG und Vorhofflimmern scheinbar die Beste ist.
Es geht nicht um Werbung für ein Produkt, sondern als seriöse Hilfe.
Grüße von W. Riegert
Hallo Herr Riegert,
leider überblicke ich das Angebot von Smart-Watches nicht hinreichend, um eine seriöse/fundierte Empfehlung geben zu können.
Die „Disclaimer“ der Hersteller geben nicht ohne Grund schon seriöse Hinweise zu den Grenzen ihrer Verfahren.
Mit freundlichem Gruß
Nicole Franke-Gricksch